Morgestund-Spaziergang durch Bern 18./29. August 2021

Gut gelaunt zog die unternehmungslustige Frauenschar durch Berns Gassen und liess bei jedem besuchten
Brunnen – DenkMal den Gedankenfluss frei fliessen. Dass die «Insel»
ihren Namen den Inselschwestern
verdankt, die im Mittelalter auf einer
kleinen Insel in der Aare beim Altenberg die Kranken pflegten, erzählte
Elisabeth Kiener-Schädeli beim Anna
Seiler – Brunnen; bevor sie uns beim
Chindlifrässerbrunnen eindrückliche Zahlen über unsern Wasserverbrauch in Erinnerung rief. Die garstige Gestalt, die kleine Kinder frisst,
diente unfolgsamen Zöglingen früher als Abschreckung. Wir machten
uns Gedanken, wen die Kindlein
wohl symbolisieren könnten. Etwa
unsere Seelen, die in der Darstellung
des Jüngsten Gerichts am Münster als
Kinder dargestellt sind?

Beim Jakobsbrunnen in der Brunngasse erwartete uns Vreni Eggimann
als Samaritanerin und erzählte in bewegenden Worten von ihrer eindrücklichen Begegnung mit Jesus. Hinter dem Konservatorium lauschten
wir bei der Flötespielenden Brunnenfigur den Melodien, die Regula Nussbaum ihrer Querflöte entlockte, um
danach selbst ein sprudelndes Blasorchester mit Röhrli und Wasser zu bilden.

Beim alten Stettbrunnen traf die
Gruppe danach zwei laute
«Wöschwiiber», die beim Wäschewaschen den neusten Klatsch und
Tratsch austauschten: «Was – d
Vrene het mit em Miggu… nei aber
ou!» Ähnliche Szenen spielen sich
auch heute täglich ab in Ländern, wo
Brunnen Begegnungsstätten sind wie
zu biblischen Zeiten. Frauen legen
lange Distanzen zu Fuss zurück, um
sauberes Wasser am Brunnen zu
holen, der oft von einem Hilfswerk
finanziert wurde.

Nach einer Kaffeepause gingen zwei
Sockel-Brunnenfiguren des Vennerbrunnens mit Wasserpistolen aufeinander los und diskutierten über
Krieg und Frieden anhand des Wassers, das als äusserst begehrter Rohstoff und lebenswichtige Ressource
weltweit Anlass zu Streit und Krieg
ist.

Eine Wassermeditation zu Psalm
87,7 beim vergoldeten Götterboten,
der auf dem Brunnen im Rathaushöfli steht, beruhigte unsere Gemüter wieder, bevor die Leiterinnen als
lebende Brunnenfiguren auf den Lischetti-Brunnen stiegen und sich als
freie Rednerinnen übten. Auch wer
nicht schwindelfrei ist, darf auf diesem Brunnen frei schwindeln!

Neben dem von der Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen der
Region Bern betriebenen öffentlichen «Wohnzimmer» Berns, in dem
Menschen am Rand der Gesellschaft
zwanglos verweilen dürfen, steht der
Maybrunnen mit dem ausladend
weiten Wasserbecken. Für uns Anlass, uns Gedanken zu machen zu
Muttergottheiten und Gottesbildern
und zum hebräischen Wort
«rächäm», das Gottes Erbarmen beschreibt, zugleich aber auch Mutterschoss bedeutet.

Der Sodbrunnen im Nydegghof, der
zur einstigen Zähringerburg von
1190 gehörte, reicht weit in die Tiefe
und wird vom Grundwasser der Aare
gespiesen. In Märchen und biblischen Geschichten sind Brunnen
Orte, wo die Gedanken in die Tiefe
schweifen, zur Stille und zu sich
selbst führen. «Aus tiefen Brunnen
schöpfen lebendiges Wasser zum Leben», sangen wir als Abschluss dieses
abwechslungsreichen Vormittages.

Nicht erschöpft, dafür aber hungrig,
gingen wir zurück zur Plattform, wo
für uns der Tisch gedeckt war mit Käsekuchen und Salat, so dass wir entspannt vor den alten Mauern des erhabenen Münsters dem gemütlichen
Treiben von Boule spielenden Männern, talentierten Musikern, spielenden Kindern und fotografierenden
Touristen zuschauen konnten.

In der «casa nobile» wurden wir am
Nachmittag in die verführerische
Welt der Schokolade eingeführt, die
wir ausgiebig kosteten und auf der
Zunge zergehen lassen durften, bis
jede ihre ganz spezifische Lieblingsschokolade entdeckt hatte. Den Gutschein für eine gelato nutzten wir
gern, so dass der Ausflug mit süssen
Schleckmäulern unter den Lauben
Berns gemütlich endete, und wir erfüllt und zufrieden nach Hause
schlenderten.
Elisabeth Kiener-Schädeli, Pfarrerin